Wolfgang Fräger
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Claudia Landwehr, Kunsthistorikerin, Einführung zur Ausstellung "30 Grafiken aus 4 Jahrzehnten"

1923 als Sohn eines Bergmanns in Bergkamen geboren, lebte Wolfgang Fräger seit 1947 bis zu seinem Tod 1983 in Bönen.
17-jährig begann er die Ausbildung zum Grafiker und schloss 1949 sein Studium ab, durch Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft unterbrochen.
Bedingt durch die Kulturpolitik der Nationalsozialisten, gehörte Wolfgang Fräger zu einer Künstlergeneration, die vor und teils auch während der Ausbildung niemals bewußt ein zeitgenössisches Bild gesehen hatte und auch keine Werke der vorangegangenen Generation.
In Deutschland trafen nach Ende des 2. Weltkriegs die Werke der Klassischen Moderne, des Expressionismus und der zeitgenössischen abstrakten Strömungen auf eine Künstlergeneration, die an der Kunstentwicklung der vergangenen Jahrzehnte selbst nicht beteiligt gewesen war. So entstand in Deutschland nach 1945 keine einheitliche Kunstentwicklung und der Expressionismus erlebte noch eine späte Phase. Obwohl rein abstrakte Richtungen - wie das Informell - den Kunstmarkt beherrschten, verlor der Gegenstandsbezug an sich - weder bei den Künstlern noch in der Kunstkritik - seine Berechtigung.
Auch Wolfgang Fräger fand seine Wurzeln im Expressionismus, der ihn zu Beginn der 50er Jahre überzeugende Lösungen finden ließ. Seine weitere künstlerische Entwicklung führte ihn bis zum Ende des Jahrzehnts von der expressiven Ausdrucksweise, über eine Beschäftigung mit der Klassischen Moderne, zu einer eigenen Formensprache. Unter hauptsächlicher Verwendung des Holzschnitts und der Radierung gelangte er zu einer symbolischen und abstrahierenden Darstellung, ohne den Gegenstandsbezug zu verlieren. Obwohl sein OEuvre unterschiedlichste stilistische Werke beinhaltet, behielt Wolfgang Fräger während aller Schaffensperioden eine Kunstauffassung, der jede künstlerische Entscheidung untergeordnet war: Seine Kunst blieb konsequent auf den Dialog ausgerichtet.
Die Grafik mit ihrem traditionellen Verständnis war für Wolfgang Fräger das ideale Ausdrucksmittel: Die überlieferte Funktion der Grafik, liegt in der Aufrüttlung, Mahnung und Ideenverbreitung. Sie ist vervielfältigbar und darum als Kunst für alle Interessenten erschwinglich. Außerdem hatte Wolfgang Fräger ein persönliches Interesse an den Möglichkeiten und Ausdrucksformen der Drucktechniken. Kunst sollte der Realitätsbewältigung, der Analyse und Kritik dienen und übernahm eine Mittlerfunktion zwischen Welt und Betrachter. Frägers Realitätsbegriff ging dabei weit über die optisch erfahrbare Wirklichkeit hinaus. Er versuchte, das Wesentliche der Dinge zu erfassen, wozu die Verfremdung, die Abstraktion und die subjektive Interpretation durch den Künstler notwendig war. Dem Betrachter sollte jedoch immer die Möglichkeit offen stehen, dieser Interpretation zu folgen.
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Sein wichtigstes Sujet der frühen Jahre war sicherlich der Mensch in seinen unterschiedlichen und sich ständig verändernden Lebenswelten, wie der Arbeitswelt, den zwischenmenschlichen Beziehungen sowie die religiöse Thematik. Auch das Tier, zählte - als dem Menschen sehr eng verbundenes - Lebewesen in allen Schaffensperioden zu seinen Themen, wobei Wolfgang Fräger zu Beginn der 60er Jahre eine ganz eigene Gattung, das Insektenwesen erfand. Mit Witz und Erfindungsreichtum entwickelte er Fantasiegestalten, die wie lebendige Mutationen aus Gegenständen der Arbeitswelt und des täglichen Lebens erscheinen.
Frägers bevorzugte Technik der frühen Jahrzehnte war neben der Radierung der Holzschnitt. Hier entwickelte er ein kombiniertes Hoch- und Tiefdruckverfahren.
Nach seinem überzeugenden und international ausgestellten Holzschnitt-Zyklus Ars Sacra, - ein 90 Blätter umfassender Zyklus, der zwischen 1962 und 1966 zur Passion Christi und zur Johannes Offenbarung entstand - verabschiedete er sich anschließend für fast zwei Jahrzehnte von dieser Drucktechnik. Obwohl Fräger gerade den Holzschnitt so meisterlich beherrschte, suchte er bewußt nach neuen Wegen und legte sich für einige Jahre weder auf eine bestimmte Technik noch auf eine klar definierbare Stilistik fest. Er experimentierte mit unterschiedlichsten Materialien, bis hin zu grafischen Kurzfilmen.
Die künstlerische Entwicklung Frägers, schlug sich in all seinen Themen nieder. Und ebenso konnte eine veränderte Sicht auf einen Bildgegenstand eine Änderung der künstlerischen Ausdrucksweise forcieren. Ein Thema, das den Grafiker jahrzehntelang fesselte, war der Bergbau. Er selbst stammte aus einer Bergarbeiter Familie und war Ende der 50er Jahre monatelang eingefahren, um der Arbeitswelt der Bergleute nahe zu kommen. Während in den 50er Jahren noch der Arbeiter selbst in seinem Interesse stand, so richtete sich Frägers Blick im folgenden Jahrzehnt immer stärker auf die ständig weiter fortschreitende Mechanisierung der Arbeitsprozesse und auf die weithin sichtbaren Zeichen eines Industriezweiges, der wie kein anderer - mit Kühltürmen und Halden, mit Fördertürmen und riesigen Industrieanlagen - seine Heimatregion das Ruhrgebiet prägte. Entsprechend der geänderten und distanzierteren Sicht auf das Thema, wurde seine künstlerische Ausdrucksweise zusehends abstrakter und symbolischer. Die Auseinandersetzung mit dem Bergbau musste Fräger fast unweigerlich - nicht nur auf die Veränderungen, sondern auch auf die Schäden stoßen, die die Industrie in der Umwelt hinterließ. So trat von 1974 an die Umweltzerstörung in den Mittelpunkt seines Interesses.
Fräger ging davon aus, dass jedes Thema auch die entsprechende Technik erfordert. Im Laufe der Jahrzehnte benutzte er unterschiedlichste grafische Techniken wie den Holzschnitt, die Radierung, den Kupferstich, die Lithographie. Selbst den nicht eigenhändig fertiggestellten, sondern in Auftrag gegebenen Siebdruck schloss er nicht völlig aus. Für das Thema Umwelt entdeckte er eine im 20. Jahrhundert fast schon vergessene Technik neu: die Mezzotinto-Radierung - oder die Schabkunst.
Anders als die übrigen grafischen Techniken ermöglicht die Mezzotinto-Radierung eine weiche, malerische und sehr präzise Gestaltung.
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Er entwickelte die Kompositionen jetzt nicht mehr durch die Linie und die Fläche, sondern durch eine Volumen und Bildtiefe beachtende Darstellung. Bei einer realistischen Ausdrucksweise nahm er fantastische und surreale Elemente in seine Grafiken auf, um auf die ganz reale Zerstörung der Umwelt hinzuweisen. Sehr wohl mit erhobenem Zeigefinger, aber auch mit viel Witz und Ironie wies er auf die Veränderungen und Zerstörungen in einer vom Konsum geprägten Wegwerfgesellschaft hin - und machte die geöffnete scharfkantige Blechdose zu ihrem Symbol.
In den letzten Lebensjahren Wolfgang Frägers änderte sich diese durchaus mahnende, aber doch auf eine eher leichte Art umgesetzte Sicht auf die gesellschaftlichen Entwicklungen. Neben den äußeren Lebensbedingungen, die immer bedrohlicher werden konnten, rückten der Mensch selbst sowie die Veränderungen seiner inneren Befindlichkeit in den Vordergrund. In vielen Arbeiten wies er in diesen Jahren auf eine kühler und einsamer werdende Welt hin, mit gestörten zwischenmenschlichen Beziehungen und fehlender Kommunikation.
Die zu Beginn der 80er Jahre immer ernster und härter werdende Sicht ließ ihn wieder vermehrt zeichnen und nach fast zwei Jahrzehnten noch einmal zum Holzschnitt greifen. Der Holzschnitt war für Fräger sicher die Technik, die mit gefühlsbetonten und auch dramatischen Inhalten verknüpft war.
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Er verließ die weiche malerische Ausdrucksweise der Mezzotinti und suchte nochmals eine abstraktere und härtere Formensprache.
Mit dem Verzicht auf die Mezzotinto-Radierung verzichtete er gleichzeitig auf den Einsatz der Farbe. Er beschränkte sich in seinen letzten Lebensjahren weitgehend auf Schwarz und Weiß, durch deren Kontrast automatisch mehr Härte und Dynamik entstand. Doch wäre er bestimmt noch einmal zur Farbe zurückgekehrt. Und für seine damaligen wie heutigen Betrachter und Sammler wäre es sicherlich interessant zu beobachten gewesen, auf welche Art er diese Rückkehr vollzogen hätte.
1983 starb Wolfgang Fräger - mit nur 60 Jahren mitten in der Phase zu einer neuen Darstellungsweise.
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Text: Claudia Landwehr, Kunsthistorikerin
Einführung zur Ausstellung "30 Grafiken aus 4 Jahrzehnten".


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weiter zum Text: Jürgen Weichardt, aus dem Katalog "Wolfgang Fräger - Druckgrafik", 1983 -->