Wolfgang Fräger
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Dieter Treek: "Einweihung Frägerraum 6 August 2023"

Liebe Familie Fräger, (Barbara, Annette und Christina)
liebe Freunde, verehrte Damen und Herren,

herzlich willkommen zum 100. Geburtstag des Bergkamener Künstlers Wolfgang Fräger!
Aus diesem Anlass schickte mir vor wenigen Tagen Barbara Duka, die älteste Tochter des vor 40 Jahren allzu früh verstorbenen Künstlers eine Briefkopie vom 13. Juli 1970: (Hier ist sie: Danke, liebe Barbara, ich hatte diese Präziose längst in meinen Archiven vergraben..!)
Es handelte sich um einen ziemlich offiziellen Brief des noch relativ frisch gewählten Bergkamener Kulturdezernenten Dieter Treeck an den Künstler Wolfgang Fräger, seinerzeit wohnhaft in Altenbögge-Bönen. Ich zitiere:

"Sehr geehrter Herr Fräger, ich möchte mich zunächst einmal vorstellen:
Seit Anfang Januar dieses Jahres leite ich in Bergkamen das Kulturdezernat und habe in dieser Eigenschaft bisher versucht, der Kultur, insbesondere im Bereich der Bildenden Kunst, neue Impulse zu geben.
U.a. habe ich vorgeschlagen, zur Ablösung der herkömmlichen städtischen Repräsentations-Gaben einmal jährlich eine Grafik bei einem namhaften Künstler der hiesigen Landschaft in Auftrag zu geben - und in einer noch festzulegenden Auflage anzukaufen.
Dieser Vorschlag ist auch Anlass meines Briefes an Sie, denn ich würde es sehr begrüßen, wenn am Anfang des Unternehmens ein in Bergkamen gebürtiger Künstler Ihres Ranges stehen würde!
Hinzu kommt, dass ich persönlich eine sehr lange Beziehung zu Ihrer Arbeit habe, und zwar genau seit dem Zeitpunkt Ihrer Ausstellung „Die Passion“ im Hammer Gustav-Lübke-Museum des Jahres 1952. Falls Sie einverstanden sein sollten, würde ich mich freuen, wenn wir recht bald ein Gespräch wegen einer Realisierung meines Planes führen könnten….

Für eine kurze Nachricht, ob Sie grundsätzlich interessiert sind, bin ich Ihnen zu Dank verbunden.
Mit freundlichen Grüßen
Der Stadtdirektor
"
(und das war noch der legenäre Alfred Gleisner)

Jedenfalls habe ich mit diesen Zeilen auch angeknüpft an meine eigene Biografie, die so eng mit der von Wolfgang Fräger verbunden war und bis zu seinem frühen Tode blieb. .
(Ich bitte um Nachsicht, verehrte Gäste, wenn ich noch eine Weile in dieser treeck-lastigen Verknüpfung verharre.)

Alles begann vor 71 Jahren im Kasernen-Viertel im Hammer Osten. Ich besuchte dort das Mathematisch-naturwissenschaftliche Gymnasium, das in der ehemaligen Infanterie-Kaserne vorübergehend eine Heimat gefunden hatte: Und zwar im Nachbargebäude des nach der Zerbombung ebenfalls provisorisch untergebrachten Gustav-Lübke-Museums.
(Und hier geschah es:)
Unser sehr ambitionierter gymnasialer Kunsterzieher erschien eines Tages im Unterricht und forderte uns Jungens (wir waren also ein Jungen-Gymnasium) dazu auf, mit ihm eine Ausstellung im Museum nebenan zu besuchen, wo großformatige Holzschnitte eines Künstlers namens Wolfgang Fräger zum Thema „Passion“ ausgestellt waren. Ich hatte diesen Namen noch nie gehört. Und ich war nie zuvor in einer Kunstausstellung gewesen, zumal ich nach der Zerstörung meines Elternhauses im letzten britischen Bombenangriff auf Dortmund weitab mit meinen Eltern in einem Bauernhof bei Rhynern eine Zuflucht gefunden hatte. Das Gymnasium in Hamm erreichte ich an jedem Schultag mit einer Vorortbahn von der ländlichen Station Opsen nach Hamm-Süd. Von dort hatte ich rund fünf Kilometer zum Gymnasium im Hammer Osten zu laufen.

Und dann die erste Kunstausstellung, die erste bewusste Begegnung mit einer neuen, geheimnisvoll-fremden Bildsprache: „Die Passion“ in einer mir fremden künstlerischen Technik, faszinierte mich so intensiv. dass ich mich am Sonntag darauf ohne gültige Fahrkarte per Kleinbahn nach Hamm schmuggelte, um mir noch einmal in aller Ruhe die Ausstellung eines Künstlers namens Wolfgang Fräger anzusehen. Denn es war eine offenbar magische erste Begegnung gewesen, die mich nicht mehr losließ. Und als ich in den darauffolgenden Schulferien meine Familie in Hagen-Haspe besuchte, fühlte ich mich dort unerwartet verlockt, eine Picasso-Ausstellung im Hagener Osthaus-Museum zu besuchen. Denn der Name des Weltkünstlers Picasso war mir nicht fremd geblieben.

Aber dies war für mich - auf der Suche nach einer Sprache unbekannter und geheimnisvoller Bildwelten eine Enttäuschung. Denn in dieser Ausstellung wurde ausschließlich künstlerische Keramik des Großmeisters gezeigt.
Dennoch: Es war etwas in mir geweckt worden, das Jahrzehnte später, - nach langen spannenden Wegen und Irrwegen - hierher geführt hat, - ins Stadtmuseum Bergkamen, in dem wir heute - aus besonderem Anlass - zur Erinnerung an den Bergkamener Bergmanns-Sohn Wolfgang Fräger zusammengefunden haben.

Aber es gibt in diesem Zusammenhang noch eine weitere Vorgeschichte. Der Name Wolfgang Fräger war seit der ersten Ausstellung mit dem Namen seiner Geburtsstadt Bergkamen unauslöschlich in mir verankert. Und als ich dann im Jahre 1969 auf der Suche nach neuen Lebens-Zielen aus der Rundfunkstadt Köln das Angebot bekam, als Fernsehredakteur zum WDR zu wechseln, entschied ich mich für ein unerwartetes Parallel-Angebot: Und zwar: als Kulturdezernent in die Bergbaustadt Bergkamen zu wechseln. Das war mein Startschuss in die kommunale Kulturarbeit, also letztlich auf den Stuhl, auf dem ich noch heute – auf einer Backe sozusagen – sitzen darf.

Mit dem Wechsel nach Bergkamen begann auch bald eine Freundschaft, die sich in meinem anfangs zitierten Brief an den Künstler Wolfgang Fräger unerwartet und unauslöschlich entfaltete. Und dieser Künstler wurde bald schon zum festen Bestandteil des kulturellen Lebens in Bergkamen. Und viele der künstlerischen Projekte Frägers fanden Wege hinüber in die literarische Arbeit des neuen Bergkamener Kulturdezernenten, dem der Schreibtisch im Bergkamener Rathaus offensichtlich zu wenig war.

Und nun wage ich – in aller gebotenen Kürze – einen großen Zeitsprung: Vielleicht erinnern sich einige von Ihnen an den mittlerweile „legendären „Bergkamener Bilder Basar“, der seit Mitte der siebziger Jahre die spektakuläre Idee erprobte, den kunst-unvertrauten Bergkamener Bürger auf der Straße mit Künstlern und Kunstwerken sozusagen unausweichlich - zu konfrontieren. Und stets dabei: Wolfgang Fräger mit neuen Themen und vielfach provokativen Ideen.

Sieben Bergkamener Bilderbasare zu berührenden Themen der Zeit trugen seit 1971 im Zweijahres-Abstand den Namen Bergkamen als besonders experimentierfreudiger Stadt hinaus in die europäische Kunstwelt. Mit Frägers Beteiligung am Bergkamener Bilderbasar zum Thema „Umwelten“ (der vor allem mit Bildern und Skulpturen in den Schaufenstern am Bergkamener Nordberg ein vielfach irritiertes neues Publikum ansprach) rückten vor allem umweltkritische Themen in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses.
Für Wolfgang Fräger öffnete sich hier ein künstlerisches Experimentierfeld, auf dem er „seine Themen“ persönlicher Betroffenheit ungebremst ausleben konnte. Am signifikantesten in der Palette dieses spektakulären Experiments waren: Frägers monumentale „Blechdose“, durch die die Passanten auf dem Nordberg hindurchflanieren konnten, dann der mannshohe Bergmannskopf vor einem Schaufenster in der Präsidentenstraße und vielgestaltig immer wieder seine „Lumpenvögel“ als Symbole permanenter Umweltzerstörung. ( Die Blechdose fand übrigens für längere Zeit einen Standort vor dem Bundesministerium für Umwelt in Berlin.)

Und an dieser Stelle wird es höchste Zeit, wenigstens in Stichworten auf einige künstlerisch-technische und weitere thematische Arbeitsfelder des überaus vielseitigen Radierers, Holzschneiders, Lithografen und auch Bildhauers Wolfgang Fräger einzugehen: Z.B. auf die ungewöhnliche Werkstatt des Künstlers, die jahrelang in der familiären Küche beheimatet war. Wolfgang Fräger bearbeitete hier mit einem Küchenmesser auf dem Küchentisch vor allem in seinem Alltag vorgefundene Holzplatten. U.a. eine alte Schulbank, deren Holzmaserung ihn faszinierte und als lebendiger Hintergrund für seine künstlerische Phantasie diente.
Der Holzschnitt war über viele Jahre – und immer wieder – die bevorzugte grafische Technik Fragers. Doch auch als Radierer (insbesondere in der Mezzotinto- sowie in der Kaltnadeltechnik), fand er angemessene Instrumentarien, seinen Bildideen Gestalt – und nicht zuletzt Magie - zu geben.
Einige Beispiele aus der städtischen Grafik-Sammlung zum Thema Wolfgang Fräger finden Sie in diesem Raume und in den Archiven dieses Hauses….

Und hier heißt es, noch einmal einen Blick weit zurück zu riskieren in die bisher vernachlässigte Biografie dieser außergewöhnlichen Künstler-Persönlichkeit.
Begonnen hatte der künstlerische Weg Wolfgang Frägers – nach Militärdienst, Kriegsgefangenschaft und einer bergmännischen Ausbildung auf der Zeche „Grillo“ sowie einer Zeit der "knochenharten Maloche" auf der Kamener Zeche Monopol.
Bis dann Wolfgang Fräger seine eigentliche Bestimmung entdeckte.
Ein neues Leben begann für ihn mit der Chance eines Studiums der angewandten Grafik an der Dortmunder Werkkunstschule und danach mit einer nahezu schicksalhaften beruflichen Tätigkeit als freischaffender Maler, Grafiker und Bildhauer. Und hier stellte er die Weichen für seine Zukunft.
Frägers Kunst entwickelte im Laufe weniger Jahre ein Format von europäischem Rang. Nach Studienaufenthalten in Paris, Amsterdam und Schweden folgte von 1953 bis 1961 zusätzlich ein Studium unter den Fittichen der Aldegrever-Gesellschaft in Münster.
Im Jahre 1968 widmete ihm übrigens das ZDF-Kulturmagazin „Aspekte“ einen kompletten Beitrag, der auch den Namen Wolfgang Fräger weithin in der europäischen Kunstwelt bekannt machte. Namhafte Stipendien folgten danach. - Und noch 1982 – kurz vor seinem Tode – nahm er an einem Grafik-Workshop des Goethe-Institutes in Nairobi teil.

Ich will es bei diesen Fragmenten belassen und nur noch darauf hinweisen, dass die Stadt Bergkamen diesen Künstler als wesentlichen Teil ihrer Identität angenommen und z.B. Ende der 90 er Jahre eine Straße in seinem Geburtsviertel im Stadtteil Bergkamen-Mitte benannt hat. Doch erst 1970 – mit Beginn meiner Tätigkeit als Kulturverantwortlicher in dieser Stadt – fanden wir eine Chance zu einer Künstler-Freundschaft mit Tiefe und Substanz….

Und dann das Schicksalsjahr 1983, in dessen Mittelpunkt für mich eine Einladung des Goetheinstitutes stand, die mich für einige Vortragswochen als Kultur-Entwickler nach Australien entführte. An einem Freitag im März kehrte ich zurück. Und am darauffolgenden Sonntagabend erreichte mich ein Telefongespräch von – Wolfgang Fräger mit etwa folgendem Inhalt: „Du, Dieter, ich möchte unbedingt wieder ein Projekt mit Dir machen. Zum Thema Waldsterben. Ich habe schon einige Skizzen gemacht, um Dich – endlich wieder mal - zu einem gemeinsamen Projekt zu verführen.
Ich war zunächst total ablehnend. Du, Wolfgang, ich komme gerade aus Australien zurück und habe den Schreibtisch voller Arbeit. Derzeit ist in meinem Leben kein Platz für etwas Gemeinsames, so sehr es mich verlocken würde… (das war beinahe „Originalton“)
Und was geschah? Wolfgang machte mich platt mit seinen Argumenten und seinen Lockrufen… Und wir verabredeten uns für den darauffolgenden Freitag. Bis dahin versprach Wolfgang, eine Auswahl von Skizzen für ein gemeinsames Projekt fertig zu haben.

Am Mittwoch drauf: Später Vormittag. Anruf von Mechthild, Wolfgang Frägers Ehefrau: „Wolfgang ist tot! Heute früh. Das Herz!“
Geschockt fuhr ich nach Bönen mit der verzweifelt-hilflosen Absicht, Mechthild Fräger ein wenig Ermutigung zu bringen – und mir auch – ganz nebenbei - die Zeichnungen anzusehen, die mein genialer Freund hinterlassen hatte. Mir wurde sofort bewusst, dass ich diesen kleinen Nachlass meines Freundes möglichst präsentabel bewahren musste. Aber dafür brauchte ich die Mittel. Ich fand sie beim Bergkamener Sparkassen-Direktor Günter Menzhausen und beim Bergkamener Bürgermeister Heinz Kook, die ich – im Bewußtsein guter Freundschaft - für ein Projekt interessieren konnte. Es entstand eine illustrierte Mappe auf der Basis der vorgefundenen Skizzen Wolfgang Frägers - zum Thema: „Das Waldsterben“. Titel: „Das Waldfest!

Sie können diese Mappe hier (auf dem Tisch vor mir) gern mit aller Behutsamkeit und angemessener Aufmerksamkeit betrachten.
Und vielleicht schau´n Sie sich mal um: Wolfgang Fräger ist in diesem Hause - zu Hause…

Ich freue mich sehr, dass ein großer, zentraler Ausstellungsraum in eben diesem Hause seinen Namen tragen wird: Wolfgang Fräger-Raum - nach 71 Jahren eines spannenden Weges zurück in die Gegenwart…

Ich danke Ihnen für Ihre Geduld und Ihr Interesse!

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zurück zum Text: Thomas Hengstenberg, Unna, den 09.03.2014 "Einführung in die Ausstellung ars sacra mit 30 Blättern aus dem gleichnamigen Holzschnittzyklus von Wolfgang Fräger am 12. März 2014 in der Unnaer Stadtkirche" -->